Zurück zur ÜbersichtIdealtypischer Prozess - Etablierung einer Steuerungsgruppe
Verfasser: Prof. Dr. Wolfgang Schlicht
Stand: Juni 2021
Auf dem Weg zu einer bewegungsförderlichen Kommune
Es ist eine große Herausforderung, Maßnahmen zur Bewegungsförderung in der Kommune umzusetzen. Aus diesem Grund richten Frau Müller und Herr Maier eine Steuerungsgruppe ein. Auf diese Weise können sie die unterschiedlichen Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen und sich mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern regelmäßig austauschen. Im 2. Schritt „Etablierung einer Steuerungsgruppe“ erfahren Frau Müller und Herr Maier, welche Personen am besten in der Steuerungsgruppe mitarbeiten, was die Aufgaben sind und was sie tun können, damit die Gruppe effektiv zusammenarbeitet.
Inhalt
Bewegungsförderliche Strukturen entstehen in einer Kommune nicht durch vereinzelte Aktionen. Die strategische Ausrichtung ändert sich erst durch ein Bündel von Programmen, Maßnahmen und Aktivitäten, die über einen mehr oder minder langen Zeitraum umgesetzt werden. Kommunen sind komplexe Sozialsysteme. Solche Systeme haben die Eigenschaft, dass man kaum verlässlich vorhersagen kann, wohin sie sich entwickeln, wenn man in ihre Prozesse und Strukturen eingreift. Um diese Unsicherheit zu beherrschen und das angestrebte Ziel zu verwirklichen, ist es empfehlenswert, Strategien, Handlungen und Interventionen systematisch zu planen und zu steuern. Das kann eine einzelne Person mit Blick auf die notwendigen Kompetenzen (z. B. für Rechnungs- und Verwaltungswesen, Öffentlichkeitsarbeit) und die zeitlichen Ressourcen kaum leisten. Wirksam wird die Aufgabe am besten in einer Steuerungsgruppe gelöst, die über Programme, Maßnahmen und Aktivitäten entscheidet, sie umsetzt, überwacht und bewertet.
Aufgaben der Steuerungsgruppe
Die Mitglieder dieser Steuerungsgruppe entscheiden und handeln zielbezogen, indem sie verschiedene Aufgaben lösen:
- Sie formulieren einen Vorschlag für ein Leitbild zur gesundheits- und bewegungsförderlichen Kommune.
- Sie konzipieren Programme, Maßnahmen und Aktivitäten.
- Sie steuern, überwachen und koordinieren den Prozess der kommunalen Entwicklung und sämtliche Teilaufgaben.
- Sie tragen die für das Projekt relevanten Informationen zusammen, planen, bewerten und entscheiden sämtliche Schritte.
- Sie handeln die organisationalen und finanziellen Rahmenbedingungen zur Durchführung des Vorhabens aus.
- Sie bilden ein Forum für die Akzeptanz, die Ergebnisse und die Folgen von Aktivitäten und Maßnahmen.
- Sie delegieren spezifische Aufgaben an Untergruppen und sorgen für einen kontinuierlichen Gedanken- und Informationsaustausch zwischen den Gruppen.
- Sie organisieren „runde Tische“ oder andere Formate, um Konflikte zwischen Interessengruppen im Diskurs zu lösen (z. B. Verkehrsberuhigung vs. Verkehrsbeschleunigung).
- Sie halten über die Gruppenführung Kontakt zur Amtsspitze und zu den kommunalen Gremien.
Partizipativ arbeiten
Die älteren Gemeindemitglieder sollten als Mitgestaltende partizipativ einbezogen, statt nur als Adressaten einer bewegungsförderlichen Kommune adressiert werden 1. Mitgestaltung und -entscheidung oder Partizipation folgt den Prinzipien der WHO-Ottawa-Charta für Gesundheitsförderung2. Die Partizipation der Zielgruppe gilt umso mehr, als die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger der Babyboomer-Generation angehören. Die Angehörigen dieser Generation sind politisch sensibilisiert. Sie wollen selbst entscheiden, wie sie ihren Alltag gestalten. Bei ihnen löst es ambivalente Gefühle, manchmal sogar Abwehr aus, wenn sie den Eindruck gewinnen, man wolle sie zu ihrem Glück zwingen.
Mitglieder der Steuerungsgruppe
Wählen Sie Mitglieder für die Steuerungsgruppe und motivieren sie diese, über einen längeren Zeitraum mitzuarbeiten. Neben ein bis zwei Repräsentantinnen und Repräsentanten der Zielgruppe sollten weitere Personen in der Steuerungsgruppe mitwirken. Das sind zum Beispiel Personen aus dem Interessen-Bündnis, die bereits die Sensibilisierung des Vorhabens unterstützt haben. Sie könnten jene Personen des Interessen-Bündnis ansprechen, von denen Sie annehmen, dass sie bereit wären ein kommunales Leitbild zu entwerfen und die Vision einer bewegungsförderlichen Kommune auch mit strategischen Entscheidungen und Handlungen verwirklichen wollen.
Darüber hinaus gibt es in einer Kommune noch weitere Personen, die Sie unterstützen können, weil sie über eine für das Ziel relevante Expertise verfügen (siehe Abbildung 1):
- Das könnten Personen sein, die sich in Kommunikation und Marketing, Finanzfragen oder im Projektmanagement auskennen
- Hilfreich sind auch Personen, die Rechtsvorschriften (z. B. Baurecht) kennen und andere, die mit Gesundheitsthemen vertraut sind.
- Wichtige Interessensvertreterinnen und Vertreter, sogenannte Stakeholder, sind auch diejenigen, die sich bereits für die Belange der Zielgruppe engagieren (z. B. aus Turn- und Sportvereinen, Seniorenbeiräten, Integrationsbeauftragte).
Um tatkräftige Personen zu gewinnen, nutzen Sie idealerweise bereits bestehende Kooperationsnetzwerke.
Größe der Steuerungsgruppe
Größe und Zusammensetzung der Steuerungsgruppe werden von Kommune zu Kommune variieren. Damit die Gruppe arbeitsfähig bleibt, sind Vollständigkeit aller denkbaren Expertisen und aller Repräsentation von Gruppen nicht zweckmäßig. Stattdessen könnten wenige kompetente Personen mit der Steuerung des Vorhabens betraut werden, damit das Gremium arbeitsfähig bleibt. Spezifische Aufgaben können an (Unter-)Arbeitsgruppen delegiert werden.
Zu den Gruppentreffen können je nach Stand des Planungs- und Umsetzungsprozesses auch Vertreterinnen und Vertreter kommunaler Bereiche eingeladen werden oder Partnerinnen und Partner aus bestehenden Netzwerken, die ihren Standpunk vertreten können.
Einige Tipps können Ihnen dabei helfen, dass die Steuerungsgruppe gut zusammenarbeitet:
- Geben Sie der Steuerungsgruppe einen Namen. Ein Name stiftet Identität und vermittelt Zugehörigkeit zur Gruppe (Wir-Gefühl).
- Legen Sie fest, wer die Steuerungsgruppe, nach außen vertritt (Sprecher oder Sprecherin) und Sitzungen leitet.
- Vereinbaren Sie klare Regeln für die Gruppentreffen (wird schriftlich oder mündlich eingeladen, wann und wie oft tagt die Gruppe, wie wird über Anträge entschieden (mehrheitlich oder einstimmig), wie in Konfliktfällen verfahren, wer führt Protokoll, wie werden Beschlüsse dokumentiert etc.?)
- Treffen Sie sich regelmäßig nach den vereinbarten Regeln. Der Tagungsrhythmus folgt den Aufgabenerfordernissen, weniger einem Zeitplan.
- Sorgen Sie dafür, dass die Steuerungsgruppe über ein Budget (z. B. aus Haushaltsmitteln der Kommune, Stiftungs-, Bundes- oder Landesmitteln oder von Sponsoren) verfügen kann.
- Klären Sie bereits vor dem ersten Treffen, über welche Sachverhalte die Steuerungsgruppe autonom entscheiden kann und zu welchen sie Entscheidungsvorlagen für kommunale Instanzen und Gremien (z. B. Gemeinderat) erarbeitet. Änderungen der Infrastruktur, die beispielsweise Bau- oder andere Rechtsvorschriften berühren, können nur durch gewählte Gemeindegremien beschlossen und angeordnet werden.
In der Gruppe arbeiten
Wie effizient eine Gruppe arbeitet, hängt unter anderem davon ab, wie vertraut die Mitglieder miteinander sind. Haben Sie daher gerade am Anfang etwas Geduld. Es dauert ein bisschen, bis die Gruppe zusammenfindet. Verwenden Sie (mindestens) ein Treffen der neu gegründeten Steuerungsgruppe darauf, ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, z. B. bei einem informellen Zusammensein. Achten Sie im Verlauf der Zusammenarbeit darauf, wie sich die Beziehungen der Mitglieder untereinander entwickeln. Sorgen Sie für eindeutige Rollenzuweisungen, verbindliche Regeln und Normen im Umgang miteinander. Arbeitet die Gruppe längere Zeit zusammen, ist es wichtig, einem möglichen Gruppendenken entgegenzusteuern. In diesen Fällen werden häufig kritische Sachverhalte ignoriert und falsche Entscheidungen wahrscheinlicher. Sie können diesem Phänomen begegnen, indem Sie Entscheidungsregeln festlegen und/oder zu jedem Treffen ein Mitglied der Gruppe benennen, dessen explizite Aufgabe es ist, die Mehrheitsmeinung zu hinterfragen. Diese Funktion könnte in jedem Treffen von einem anderen Mitglied der Steuerungsgruppe wahrgenommen werden.4
Wie zielführend Ihre Steuerungsgruppe arbeitet, hängt nicht zuletzt von Ihnen ab. Deshalb noch einige Stichworte zu dem, was Sie tun und was Sie vermeiden sollten, damit die Steuerungsgruppe zielführend arbeitet (Tabelle 1).
Tabelle 1. Dos und Don`ts der Gruppenführung
Das sollten Sie tun … | Das sollten Sie vermeiden … |
---|---|
die Aufgabenstellung vorab eindeutig klären | kleinteilige Diskussionen zulassen |
Ressourcen sichern | die Mitglieder in Treffen mit Sachverhalten überraschen, die Entscheidungen binden |
Die richtigen Personen, statt eine maximale Anzahl von Personen bestellen | Treffen mangelhaft vorbereiten |
Treffen über vorab versandte Materialien präzise vorbereiten | Diskussionen zuzulassen, die „die Welt zum Gegenstand machen“ und die grundsätzliche Zielsetzung infrage stellen |
Treffen strikt leiten und zeitlich vorhersehbar begrenzen (z. B. max. 2 Stunden tagen) | die Mitglieder ausufernd belehren, arrogant auftreten und ihnen demonstrieren, dass letztlich nur Sie wissen, um was und wie es geht |
Wright MT. Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. In: BZgA (Hrsg.). Leitbegriffe der Prävention und Gesundheitsförderung. BZgA, Köln.
https://www.leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/partizipation-mitentscheidung-der-buergerinnen-und-buerger/
(letztmaliger Zugriff, Juni 2021).
WHO (1986). Ottawa-Charta für Gesundheitsförderung.
https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf?ua=1. :6.
Von Becker B (2014). Babyboomer. Die Generation der Vielen. Suhrkamp Edition, Frankfurt/M.
Verfügbar unter: https://www.suhrkamp.de/buch/bernhard-von-becker-babyboomer-t-9783518465080
Vogelsang F, Mojzisch A, Schultz-Hardt S (2006) Entscheidungsprozesse in Gruppen. In: Bierhoff H W, Frey D (Hrsg.) Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie. Huber, Bern, S. 646-654.
Begriffserklärung
Babyboomer-Generation
Babyboomer-Generation
Babyboomer werden jene Personen der Bevölkerung genannt, die den geburtenstarken Nachkriegsjahrgängen von 1955 bis 1969 angehören. Diese Jahrgänge bildeten als Schüler und Schülerinnen und Studierende in den 1980er Jahren die Friedens- und Umweltbewegung. Die Babyboomer haben sich seinerzeit gesellschaftspolitisch engagiert, ohne aber der Illusion anzuhängen, als vergleichsweise kleine Bevölkerungsgruppe im Stande zu sein, die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Seit dem Jahr 2020 sind die ersten Jahrgänge der Babyboomer in der zweiten Lebensphase (ab 65 Jahre alt) 3.
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