Mit der Netzwerkbildung im Rahmen des Projektes „Lange mobil und sicher zu Hause" setzt sich der Förderverein Akademie 2. Lebenshälfte im Land Brandenburg e. V. zum Ziel, bewegungsorientierte Gesundheitsförderung im hohen Alter mit dem sozialen Engagement für die Menschen im eigenen Umfeld zu verbinden und dies besonders im ländlichen Raum zu stärken. Zusammen mit der AOK Nord-Ost als Kooperationspartner und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg als Förderer ist es bisher gelungen, das Engagement von 520 Ehrenamtlichen und 20 Trägern an 22 Standorten im Netzwerk zu bündeln.
Das Interview führten wir mit Dr. Ingrid Witzsche (Projektkoordinatorin und Leiterin Geschäftsbereich Süd).
(Erstellung des interviews: September 2020)
1. Was genau wollen Sie mit dem Projekt „Lange mobil und sicher Zuhause“ erreichen und wie sind Sie gestartet?
In dem Projekt geht es darum, für die Gruppe der Hochaltrigen mehr Bewegungsangebote zu entwickeln. Unsere Grundidee war, es gemeinsam mit regional verwurzelten Trägern und Ehrenamtlichen umzusetzen. Durch eine stabile strukturelle Anbindung soll das Thema Bewegung im hohen Alter viel stärker in die Wahrnehmung gerückt werden.
Da wir Mitglied im Bündnis „Gesund älter werden“ in Brandenburg sind, haben wir zunächst geschaut, was es an Bewegungsangeboten für Ältere im Land gibt – und da findet man so einiges. Aber es wurde schnell deutlich, dass jene Angebote stark auf Menschen ausgerichtet sind, die mobil sind. Also die erstens motiviert und zweitens auch in der Lage sind, solche Angebote wahrzunehmen. Aber wie werden nun Menschen berücksichtigt, die eingeschränkt sind und nicht mehr selbst zu den Angeboten gehen können? Diese Lücke zu füllen, war und ist unser Anliegen und brachte uns dann auch mit den Partnern zusammen, unter anderem der AOK Nord-Ost. Gemeinsam haben wir ein Curriculum für Ehrenamtliche entwickelt und seit 2015 bauen wir kontinuierlich ein Netzwerk von Trägern auf, die unsere Idee, mehr Bewegung in die Häuslichkeit von Hochaltrigen zu bringen, mit verwirklichen wollen.
2. Wie sieht das eigentliche Angebot aus, mit dem an die „Hochaltrigen” herangetreten wird?
In der Praxis arbeiten bereits viele Träger mit Besuchsgruppen, entweder über ehrenamtliches Engagement oder in Verbindung mit alltagsunterstützenden Angeboten. Hier knüpfen wir mit unserem Ansatz an, Bewegung zu stärken. Die Ehrenamtlichen, die sich engagieren, erhalten eine viertägige Schulung zum Thema Bewegung. Zumgenerellen Umgang mit Älteren für Besuche in der Häuslichkeit sind die Ehrenamtlichen bereits vorgebildet. Wir bieten Bewegungs- und Sturzpräventionsschulungen an, die die Ehrenamtlichen in die Lage versetzen, mit ganz einfachen Mitteln zu mehr Bewegung zu motivieren und eine Regelmäßigkeit zu initialisieren. Sie erhalten einen „Zauberbeutel” mit Materialien für die Eins-zu-Eins-Bewegung mit einfachen Mitteln. Diese werden natürlich jeweils individuell angepasst. Das ist oft mit vielen Ideen und vor allem viel Spaß verbunden. So hat beispielsweise eine junge Netzwerkbeteiligte angeregt, mit dem Rollator Cha-Cha-Cha zu tanzen. Zudem ist uns der Nutzen für den Alltag der Hochaltrigen wichtig, z. B. damit sie sich nach ein paar Wochen möglicherweise wieder ihre Haare selbst kämmen können. Manche berichten auch, dass sie, weil sie immer wieder mit einem Rollator gelaufen sind, dann auch mal wieder ohne gehen können.
Es hat sich herausgestellt, dass die Träger auch daran interessiert sind, kleine Gruppen von Älteren zusammenzubringen. Hier ist es auch leichter, eine Regelmäßigkeit zu installieren. Sprich, in bestehende Strukturen gehen, in denen die Älteren schon sind und dort regelmäßig Bewegungsangebote anzubieten. Wo sonst nur gesessen und Karten gespielt wurde, ist nun viel mehr das Thema Bewegung präsent.
3. Welchen Herausforderungen und Chancen bringt das Projekt mit sich?
Ideal ist, wenn vor Ort ein Träger ist, der regional verwurzelt ist. Dieser Träger sollte über Ehrenamtliche verfügen, die entweder bereits in der Häuslichkeit mit Alltagsangeboten unterstützen oder Gruppen betreuen bzw. neue Gruppen auf die Beine stellen möchten. Dabei ist es natürlich eine Herausforderung, Ehrenamtliche zu finden, die die hochaltrigen Menschen auch erreichen, sie motivieren und zum Bewegen animieren können. Insbesondere dann, wenn noch keine benannten Strukturen mit Ehrenamtlichen bei den Trägern bestehen.
Ein schwieriger Faktor ist zudem, dass gerade in Brandenburg alles sehr weitläufig ist und es in Zeiten, in denen das Netzwerk schnell wächst, einfach schwer ist, es in Gänze zu managen. Auch personell gerät man da schnell an seine Grenzen, vor allem auch bei den Trägern, die selbst über sehr wenig Personalkapazitäten verfügen.
Gleichzeitig gibt es aber auch Probleme, wenn Träger sich auflösen, engagierte Personen weggehen oder keine Zeit mehr für ihr Engagement haben. Damit gilt es umzugehen, denn das Netzwerk lebt sehr vom Engagement der Aktiven an den Standorten.
Es sind viele Voraussetzungen, die so ein Projekt mit sich bringt, aber die Praxis zeigt, dass es geht. Es gibt eine große Vielfallt an Trägern, die mitwirken und eine Vielfalt an Ideen einbringen, was wiederum zu einer großen Dynamik in dem Projekt führt. Viele Dinge sind entstanden, die das Thema vor Ort wirklich vorantreiben – nicht zuletzt auch unterstützt durch den gegenseitigen Austausch, der auch deutlich als Bedürfnis formuliert wird. So haben die Träger kreative Absätze entwickelt, wie das „Kaffeetrinken mit Bewegung“ im Betreuten Wohnen, das nach erfolgreicher Etablierung an einem Standort auch andere Standorte aufgegriffen haben, oder die regelmäßige Bewegungsanregung bei den Treffen der Ehrenamtlichen, die mittlerweile in mehreren Gruppen umgesetzt wird. Zudem gibt es auch beim Einsatz von Materialien wunderbare Ideen: Zum Beispiel hat ein Standort weiche Bälle gehäkelt, die so gut gefallen haben, dass auch an anderen Standorten Ehrenamtliche aktiv wurden.
Deshalb findet mindestens einmal im Jahr ein Netzwerkforum für alle Ehrenamtlichen statt, die sich in Arbeitsgruppen zu speziellen Themen austauschen. Eine Art Zwischenebene bilden die Projektinitiatoren, das heißt die Verantwortlichen, die das Projekt vor Ort managen. Sie sorgen für eine Stabilisierung dieses Austausches, indem sie auch eigene Treffen, Beratungen oder Fortbildungen initiieren. Für die Projektinitiatoren gibt es zusätzlich zum Erfahrungsaustausch einmal im Jahr ein zweitägiges Netzwerktreffen.
4. Was ist zukünftig geplant, um das Projekt erfolgreich fortsetzen und ausbauen zu können?
Wir sind momentan im Land Brandenburg in 22 Standorten vertreten, verteilt auf elf Kreise. Das wollen wir weiter ausbauen, neue Kreise erschließen, weitere Träger gewinnen und die Vernetzungsstrukturen stärken. Gern möchten wir unseren Ansatz zukünftig in die in einigen Landkreisen entstehenden Netzwerkstrukturen zur gesundheitlichen Prävention einbringen. Hier gibt es Förderprogramme der GKV, die natürlich nicht nur unsere Zielgruppe betreffen, aber sich gut verknüpfen ließen. Und natürlich gilt es, immer wieder neue interessante Leute gewinnen, weil diese Vielfalt einfach ungeheuer viel Effekt mit sich bringt und damit immer mehr Beteiligte dieses Projekt prägen und weiterentwickeln.
Zudem wird das Projekt zur Zeit extern evaluiert durch drei Masterstundeten der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Sie ermitteln u. a., worin der Effekt für die Schulenden selbst liegt, die meist ebenfalls im Rentenalter sind. Es ist natürlich von vornherein mitgedacht, dass die Leute, wenn sie sich vier Tage mit Bewegung beschäftigen, auch ihr eigenes Leben betrachten und selbst aktiver werden, um sich auf das hohe Alter besser vorzubereiten. Hierzu gilt es, noch mehr über den Nutzen herauszufinden. Ein weiterer Untersuchungsgegenstand betrifft die Wirksamkeit der Netzwerkstruktur. Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse, die wir für eine Verbesserung unserer Arbeit nutzen möchten.
Natürlich hängt das Fortbestehen des Projektes und alle zukünftigen Entwicklungen von der Aufrechterhaltung einer stabilen Finanzierung ab. Gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern suchen wir nach einer dauerhaften Lösung. Denn das Thema Bewegungsförderung Hochaltriger wird in Zukunft noch viel wichtiger werden. Wir sind uns einig, dass eine stabile Gesamtkoordination für die Umsetzung eines flächendeckend so großen Projektes ausschlaggebend ist. Hier gibt es noch viel zu tun!
5. „Wie sehen Ihre Zukunftspläne für Ihr Vorhaben in Zeiten der Corona-Pandemie aus?“
In den letzten Wochen war die direkte Form der Bewegungsförderung natürlich kaum möglich. Aber die Ehrenamtlichen haben den Kontakt zu ihren Betreuten telefonisch gehalten und teilweise auch in diesem Rahmen zu Bewegung animieren können. Mittlerweile ist manches nun wieder machbar und wir stehen in engem Kontakt mit den Engagierten. Im Juni werden wir unser Netzwerkforum erstmalig als Online-Meeting durchführen. Das ist natürlich eine Herausforderung, aber wir möchten auf den Austausch nicht verzichten.
Bei weiteren Fragen zum Angebot
Uta-Maria Temme, Projektkoordinatorin
Förderverein Akademie 2. Lebenshälfte im Land Brandenburg e.V.
Netzwerk „Lange mobil und sicher zu Hause“
Rheinstraße 17b
14513 Teltow
Telefon: 03328 33 10 963
Mobil: 0157 32 46 46 20
Mail: temme(at)lebenshaelfte.de
Web: www.lange-mobil-und-sicher-zu-hause.de
Gesundheitliche Chancengleichheit
Der Kooperationsverbund wurde 2003 von der BZgA initiiert. Sein zentrales Ziel ist die Stärkung und Verbreitung guter Praxis in Projekten und Maßnahmen der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten.