Filiz Taskin (74) und Sabriye Yildiz (71 Jahre) kamen beide als Gastarbeiterinnen in den 1960er Jahren aus der Türkei nach Berlin und sind heute alleinlebend. Die beiden Frauen sind seit vielen Jahren Teil des „Clubs 2. Frühling“ beim Stadtteilzentrum Kotti e. V. in Berlin-Kreuzberg und gestalten dort regelmäßig Kultur- und Freizeitangebote mit.
Filiz Taskin engagiert sich ehrenamtlich, ist interessiert an Neuem und teilt gerne ihre Erfahrungen mit anderen Menschen. Im Familiengarten kann sie ihrer Leidenschaft, in der Natur zu sein, nachgehen und kümmert sich seit Jahren um den Garten.
Sabriye Yildiz hat zwei Töchter in der Türkei und einen Sohn in Berlin. Ihren pflegebedürftigen Mann hat sie bis zu seinem Tod zu Hause gepflegt und lebt nun seit 18 Jahren allein. Der Club 2. Frühling ist für sie wie ein zweites zu Hause.
1. Erzählen Sie doch bitte einmal, wie Sie auf das Projekt „Club 2. Frühling“ aufmerksam geworden sind.
Frau Taskin: Ich war maßgeblich an der Entstehung der Gruppe beteiligt, so dass ich von der ersten Stunde an dabei war. Die Idee entstand zum 32-jährigen Jubiläum der ersten Gastarbeiterinnen, die bei Telefunken beschäftigt und im selben „Arbeiter*innen-Wohnheim“ untergebracht waren. Das Fest fand im Familiengarten-Kotti e. V. statt. Es kamen 36 Frauen, so dass die Idee entstand, sich weiter zu treffen.
Frau Yildiz: Ich bin eher durch eine schwierige Lebenssituation auf den „Club 2. Frühling“ aufmerksam geworden. Nach einigen Schicksalsschlägen und dem Tod meines Mannes bin ich in eine schwere Depression gefallen. Ich musste stationär behandelt werden, konnte nicht mehr sprechen und hatte Schwierigkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen. Mein damaliger Therapeut hatte mir von der Einrichtung „Familiengarten“ beim Kotti e. V. und der Gruppe, die sich dort trifft, erzählt und mir geraten dort hinzugehen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten schaffte ich es dann auch. Zum Glück.
2. Was hat Sie dazu bewegt, an der Gruppe teilzunehmen?
Frau Taskin: 1996 haben wir mit der Leiterin des Familiengartens-Kotti e. V. gemeinsam die Gruppe „Club 2. Frühling“ aufgebaut. Am Anfang haben wir uns zu fünft einmal die Woche getroffen. Als die Gruppe immer mehr wuchs, haben wir das Treffen auf zwei Tage die Woche erweitert. Die Frauen kamen aus allen Bezirken. Manchmal waren wir 60 Frauen, im Alter von 50 bis 60 Jahren. Wir hatten alle das Bedürfnis, unsere Erfahrungen und Erinnerungen zu teilen, gemeinsam zu essen, zu lachen, zu singen und zu tanzen. Denn viele von uns lebten und leben auch heute noch alleine.
Frau Yildiz: Auch ich wollte nicht mehr allein sein und raus aus meiner Isolation. Ich wollte wieder am Leben teilhaben und unter Menschen sein. Ich wurde so freundlich aufgenommen, dass ich mich sofort wohlfühlte. Ich traf Frauen mit ähnlichen Erfahrungen, die genauso alleine waren wie ich. Die Leiterin hat immer ein Ohr für jede Einzelne. Mit der Gruppe des „Clubs 2. Frühling“ war ich nicht mehr einsam, konnte wieder lachen und Freude empfinden. Mittlerweile bin ich jetzt seit fast 20 Jahren zweimal die Woche hier. Es ist mein Zuhause, meine Familie.
Frau Taskin: Mittlerweile sind viele nicht mehr unter uns und wir sind auch nicht mehr so fit wie vor 22 Jahren. Umso wichtiger ist die Gruppe für uns, denn mittlerweile sind sehr enge Freundschaften entstanden. Wir sind füreinander da. Und die, die neu dazukommen, werden herzlich aufgenommen.
3. Gab es besondere Erlebnisse, die Ihnen im Gedächtnis geblieben sind? An welche Momente denken Sie gerne zurück?
Frau Taskin: Es gibt so viele Erinnerungen, die mir haften geblieben sind, da könnte ich ein ganzes Buch schreiben. Aus unserer großen Freude heraus, gemeinsam Lieder aus unserer Kindheit und Jugend zu singen, entstand unser „Chor Club 2. Frühling“. Wir machten uns deutschlandweit einen Namen. Wir wurden zu vielen Veranstaltungen, vor allem zu interkulturellen Festen, wie dem Zucker- oder Opferfest, eingeladen. Ein ganz großer Moment war, als unser „Chor Club 2. Frühling“ beim Theaterstück „Das Klassentreffen“ von Manfred Langhoff mitwirkte. Mit dem Stück hatten wir mehrere Auftritte im Ballhaus-Kreuzberg, dem Theater „HAU - Hebbel am Ufer“ und später sogar in Istanbul. Es war schon etwas Besonderes, so im Rampenlicht zu stehen.
Frau Yildiz: Auch bei mir sind es so viele Momente, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Jeder Tag, den ich hier verbringe, birgt schöne Momente. Es ist für mich wie eine Sucht. Ich warte die ganze Woche auf unsere gemeinsamen Treffen, auch wenn wir uns manchmal streiten.
4. Was gefällt Ihnen am Projekt „Club 2. Frühling“ besonders gut?
Frau Taskin: Die Gruppe gibt mir Energie und es sind tiefe Freundschaften entstanden. Wir stehen uns bei und wir sind für einander da. Der „Club 2. Frühling“ gibt uns einen Ort, wo wir sein können und Gehör für unsere Anliegen und Probleme finden, auf die dann auch reagiert wird. Wir erhalten Informationen, Beratung, Hilfestellung und wir lernen Neues kennen und erweitern unseren Horizont. Hier können wir unseren Tee aus dem Samowar trinken, gemeinsam lachen, streiten und uns wieder vertragen. So, wie es eben in einer Familie zugeht.
Frau Yildiz: Durch den „Club 2. Frühling“ fühlte ich mich in meiner besonderen Situation damals wieder sicher und geborgen und konnte Frieden schließen. Ich habe sowohl Vertrauen zu mir und meinen Mitmenschen gefunden sowie durch unsere gemeinsamen Ausflüge Berlin zum ersten Mal richtig kennengelernt. Fast alle der Teilnehmerinnen sind mittlerweile alleinlebend. Wenn wir zusammenkommen, fühlen wir uns als Gemeinschaft und teilen unsere Sorgen, Freuden und Erinnerungen.
5. Würden Sie die Teilnahme am Projekt „Club 2. Frühling“ weiterempfehlen? Für wen eignet sich das Angebot insbesondere?
Frau Taskin: Ich empfehle jeder Frau, auch wenn sie eine Familie hat, sich mit anderen Frauen zu treffen, um eigene Interessen zu entwickeln, soziale Kontakte zu knüpfen und sich nicht nur von der Familie abhängig zu machen. Die Gruppe eignet sich für jede, die gerne neue Kontakte knüpft, sich informieren will, offen für Neues ist sowie Spaß am kreativen Gestalten, Singen, Tanzen und Lachen hat.
Frau Yildiz: Ich teile die Empfehlung. Es ist wie ein Zuhause hier und jeder Mensch braucht ein Zuhause.
Gesundheitliche Chancengleichheit
Der Kooperationsverbund wurde 2003 von der BZgA initiiert. Sein zentrales Ziel ist die Stärkung und Verbreitung guter Praxis in Projekten und Maßnahmen der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten.