Kriterium „Setting-Ansatz“

Der Setting-Ansatz nimmt die Lebenswelten von Menschen in den Blick. Er untersucht zum Beispiel die Lebensbedingungen in einem Stadtteil oder in der Nachbarschaft. Gesundheitsförderung nach dem Setting-Ansatz bedeutet, die Lebensbedingungen von Menschen so zu gestalten, dass diese einen positiven Effekt auf die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner haben können.

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Bedeutung des Setting-Ansatz

Wie gesund und selbstbestimmt Menschen im Alter leben können, hängt entscheidend von den Lebensbedingungen in ihrem Wohnviertel ab. Dies gilt umso mehr, je stärker sich der Aktionsradius im Laufe des Älterwerdens verkleinert – beispielsweise weil die Mobilität durch gesundheitliche Beeinträchtigungen abnimmt. Bereits mit dem Ende der Berufstätigkeit gewinnt das Wohnquartier an Bedeutung. Ältere Menschen verbringen mehr zeit vor Ort. Dazu kommt, dass in dieser Lebensphase oft wichtige persönliche und soziale Kontakte wegfallen, z. B. durch den Tod der Partnerin oder des Partners oder den Wegzug der Kinder. Umso entscheidender wird damit das Wohnviertel für die Lebensqualität älterer Menschen. Dazu müssen die Bedingungen im Quartier genau in den Blick genommen werden.

Wichtige potentielle Settings für ältere Menschen:

  • Stadt/Stadtteil/Quartier/Kommune
  • Betrieb (für ältere Berufstätige)
  • Familie/Nachbarschaft
  • Seniorenfreizeitstätte, Nachbarschaftshaus, Stadtteilzentrum, Mehrgenerationenhaus
  • Pflegestützpunkt/Seniorenbüro
  • Verein/Verband
  • Stationäre Versorgungseinrichtungen z. B. Pflegeeinrichtungen, Krankenhaus, Rehabilitationseinrichtung, Hospiz
  • Ambulante Versorgungseinrichtungen z. B. Arztpraxis, Apotheke

Erfahrungen

Die Berücksichtigung des Setting-Ansatzes kann beispielsweise dabei helfen, auch ältere Menschen für Sportangebote zu erreichen, die bisher keine Bewegungsangebote in Anspruch genommen haben. Der Hamburger Sportbund e. V. fördert daher Kooperationen zwischen Sportvereinen und Senioreneinrichtungen, so dass Bewegungskurse auch in Seniorenwohnanlagen, Nachbarschaftstreffs oder Räumen von Wohnungsunternehmen angeboten werden. „Vor allem in sozial benachteiligten Stadtteilen soll isoliert lebenden Personen ein Bewegungsangebot gemacht werden, um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Der Hamburger Sportbund hat dazu ein Kooperationsmodell zwischen Sportvereinen und Senioreneinrichtungen zur Umsetzung von Bewegungsangeboten für Ältere entwickelt. Es geht darum, die Sportvereine zu den Menschen zu bringen. Menschen, die sich aufgrund ihres eingeschränkten Aktionsradius kaum mehr aus ihrer nahen Umgebung heraus bewegen können.“

Frau Gauler vom Hamburger Sportbund e. V. betont, dass es für die Umsetzung adäquater Bewegungsangebote mit älteren Menschen vorteilhaft ist, wenn sie in den Lebenswelten der Älteren stattfinden und diese gestalten. Hier setzt das Hamburger Projekt „Mach mit – bleib fit!“ an. Ihre Zielsetzung beschreibt die Leiterin des Projektes so: „Der Vorteil bei dem von uns durchgeführten Projekt ist, dass es sich um Sport-vor-Ort-Angebote handelt. So können ältere Menschen in ihrer vertrauten Umgebung bleiben und langsam an Bewegung herangeführt werden. Es werden Kooperationen initiiert und Angebotslücken geschlossen, indem neue Angebote geschaffen werden.“
(Katrin Gauler, Mach mit – bleib fit, Hamburg)
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Elemente des Setting-Ansatzes

Neben der Schaffung gesundheitsfördernder Strukturen ist Partizipation eine elementare Bedingung für das Gelingen des Setting-Ansatzes: Die gesundheitsgerechte Gestaltung der Lebenswelten kann nur gelingen, wenn die unmittelbar Betroffenen daran mitwirken. Damit sich die Betroffenen bei der Gestaltung ihrer Lebenswelt einbringen können, sollte es ebenso Ziel sein, die individuellen wie gemeinschaftlichen Ressourcen der Zielgruppe zu stärken. Eine kontinuierliche Koordinierung der Aktivitäten ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des Setting-Ansatzes.

Elemente

Element 1: Schaffung gesundheitsfördender Strukturen

Wirksame Projekte im Sinne des Setting-Ansatzes verankern gesundheitsfördernde Elemente langfristig und nachhaltig in der Lebenswelt älterer Menschen.

Beispiel Element 1: Netzwerk für Gesundheitsförderung älterer Menschen im Quartier
Um auf ein gesundheitsförderliches Quartier für ältere Menschen hinzuwirken, schließen sich verschiedene Akteure zu einem Stadtteilnetzwerk zusammen: zum Beispiel aus Senioreneinrichtungen, Nachbarschaftshäusern, der Verwaltung und Bürgerinitiativen. ziel der initiative ist es, gesundheitlich förderliche und belastende Elemente des Viertels zu benennen und in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Um die belastenden Elemente im Quartier aufzuspüren, unternehmen die Mitglieder der Initiative einen Kiezspaziergang zum Thema „Barrierefreiheit“. Mit dabei sind ältere Menschen aus dem Viertel, die an zentralen Orten ihrer Lebenswelt zu teilhabehindernissen befragt werden. Ausgehend von dem Kiezspaziergang und den Interviews entstehen thematische Arbeitsgruppen, die sich bei den zuständigen Ämtern und Akteuren für die Umsetzung von gemeinsam erarbeiteten Empfehlungen einsetzen.

Worauf können wir achten?

Der Setting-Ansatz erfordert einen Perspektivwechsel.
Anstatt nur individuelle Faktoren von Gesundheit zu berücksichtigen, kommt es darauf an, die gesamte Lebenswelt in den Blick zu nehmen. Ältere Menschen sollten nicht nur in ihrem jeweiligen Lebensumfeld adressiert werden, sondern das Lebensumfeld sollte auch ausgehend von den Bedürfnissen älterer Menschen umgestaltet werden (ganzheitliche Konzeption).


Erfahrungen Element 1
Im Interview schildert Markus Runge vom Nachbarschaftshaus Urbanstraße e. V. in Berlin seine Erfahrungen bei dem Projekt „Rote Bank“, das die Lebensbedingungen des Viertels für ältere Bewohnerinnen und Bewohner nachhaltig verbessern will: „Die Idee von den Bewohnerinnen und Bewohnern ist, dass man Gewerbetreibende dazu bringt, im Sommer immer einen Tisch mit roten Stühlen vor dem Geschäft aufzustellen, an dem sich ältere Menschen hinsetzen können, ohne gleich etwas kaufen zu müssen. Für sie sind die Wege oft sehr lang. Die öffentliche Verwaltung tut sich etwas schwer mit Bänken, weil dann gleich die Themen Obdachlosigkeit oder Lärm ins Spiel kommen. Es wäre interessant, wenn die Gastronomieeinrichtungen im Viertel sich dem Thema stellen würden: ,Dieser Tisch, der wird nicht besetzt mit Gästen. Sondern der bleibt frei für die Menschen, die vorbeikommen und einfach mal fünf Minuten sitzen wollen. Da hätten wir auch wieder niedrigschwellige Begegnungsorte, an denen Menschen ins Gespräch kommen können und Teilhabe erleben, ohne den Geldbeutel dafür haben zu müssen.“
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Element 2: Stärkung individueller Kompetenzen & Ressourcen

Im Setting-Ansatz gilt es, ältere Menschen zu befähigen, aktiv mit Problemen, Heraus­forderungen und Belastungen umzugehen. Sie entwickeln die Kompetenz, Lösungsansätze und Bewältigungsstrategien zu formulieren und umzusetzen. Diese Ressourcen sind eine wichtige Voraussetzung dafür, sich aktiv in Beteiligungsprozesse einzubringen und Einfluss auf die gesund­heitsgerechte Gestaltung der Strukturen zu nehmen.

Beispiel Element 2: Netzwerk für Gesundheitsförderung älterer Menschen im Quartier
Die Mitglieder des „Netzwerkes für Gesundheitsförderung älterer Menschen“ erfahren durch Gespräche, dass ältere Menschen in ihrem Viertel verstärkt Barrieren wahrnehmen, sich selbstständig fortzubewegen. Hauptursache ist der zunehmend motorisierte Straßenverkehr. Das Netzwerk beschließt, einen Workshop zu veranstalten, in dem ältere Menschen Informationen zum Thema Verkehrssicherheit erhalten, ergänzt durch praktische übungen zum thema Sturzrisiko im Straßenverkehr. ein wichtiges ziel des Workshops ist dabei, einen Austausch über wahrgenommene Probleme zu ermöglichen und gemeinsame Lösungsstrategien zu entwerfen (beispielsweise die Thematisierung von Problemzonen gegenüber dem Straßen- und Grünflächenamt).

Element 3: Beteiligung sichern

Eine verstärkte Orientierung an der Lebenswelt Älterer erfordert eine aktive Teilhabe der betroffenen Menschen.

Beispiel Element 3: Netzwerk für Gesundheitsförderung älterer Menschen im Quartier
Die Gründung des Stadtteilnetzwerkes geht auf die Initiative von betroffenen Personen aus einer Bürgerinitiative zurück. Bei allen Aktivitäten wurde daher von Beginn an Wert darauf gelegt, dass auch ältere Menschen selbst beteiligt sind. Um dies zu gewährleisten, wurden unter anderem verbindliche Regelungen festgeschrieben. Diese besagen, dass alle grundlegenden Entscheidungen des Netzwerkes nur im Konsens und unter Teilhabe älterer Menschen selbst getroffen werden können. Bei den regelmäßigen Treffen des Netzwerkes, in denen gemeinsame Vorhaben geplant werden, wird zudem Wert auf Niedrigschwelligkeit gelegt. Dazu gehört auch, dass alle schriftlichen Dokumente des Netzwerkes in „einfacher Sprache“ verfasst werden.

Worauf können wir achten?

Entscheidungskompetenz übertragen
Wichtig bei der Beteiligung von älteren Menschen ist, dass ihre Meinung im Projektverlauf Gewicht erhält und ihnen möglichst viel Entscheidungskompetenz übertragen wird.


Erfahrungen Element 3
Im Netzwerk „Für mehr Teilhabe älterer Menschen in Kreuzberg“ wurde die Erfahrung gemacht, dass die Beteiligung älterer Menschen auch in einem „fachlichen Netzwerk“ von Expertinnen und Experten nicht fehlen darf: „Das war zunächst ein fachliches Netzwerk, hat jetzt aber auch ältere Menschen, die sagen: ‚Wir wollen in dem Netzwerk mitarbeiten‘. Das verändert die Arbeitsatmosphäre. Aber es gibt uns das gute Gefühl, dass da auch Menschen dabei sind, die uns in unseren Überlegungen korrigieren. Wenn sie das Gefühl haben, das passt nicht in ihre Lebenswelt, dann sagen die uns das. Wir haben jetzt auch die Seniorenvertretung dabei, die das dann auf der politischen Ebene weitertragen kann. Aus dem Netzwerk heraus entstehen viele Arbeitsgruppen, z. B. kam aus einer Gruppe das Anliegen, im nächsten Jahr eine Veranstaltung des Nachbarschaftshauses zum Thema ‚Barrierefreiheit‘ zu organisieren. Die Gruppe wollte sich intensiver mit dem Thema beschäftigen und wünschte sich einen Kurs zu diesem Thema.“
(Markus Runge, Netzwerk „Für mehr Teilhabe älterer Menschen in Kreuzberg“, Berlin)
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Element 4: Koordination

Im Rahmen des Setting-Ansatzes sollten alle Aktivitäten kontinuierlich und professionell koordiniert werden. Die koordinierenden Personen sollten mit dem Setting vertraut sein und Akzeptanz bei den dort vertretenden Gruppen finden.

Beispiel Element 4: Angebote der präventiven Hausbesuche 
Aus den Teilnehmenden des Stadtteilnetzwerkes heraus hat sich ein Team gebildet, das die Aktivitäten des Netzwerkes koordiniert. Die Mitglieder dieses Leitungsteams wurden im Rahmen einer Sitzung des Netzwerkes gewählt. Sie bereiten die gemeinsamen Sitzungen vor und vertreten das Netzwerk gegenüber neuen Partnerinnen und Partnern und bei Anfragen, die von externen Personen an das Netzwerk gerichtet werden.

Worauf können wir achten?

Finanzielle / personelle Ressourcen für Koordinierungsaufgaben
Eine Wertschätzung von Koordinierungsaufgaben drückt sich nicht zuletzt durch eine Ausstattung mit ausreichend personellen und finanziellen Mitteln aus.

Handlungsempfehlung zum Setting-Ansatz

Gehen Sie kleine Schritte!
Da der Setting-Ansatz nicht auf die individuelle Gesundheitsförderung sondern die gesamte „Lebenswelt“ zielt, erscheint er komplex und in der Praxis nicht immer leicht umsetzbar. Fangen Sie an, auch wenn die Schritte zunächst klein sind.


Erfahrungen
Zur unterstützung häuslicher Pflege hat die AOK Nordost das Programm „PfiFf“ (Pflege in Familien fördern) aufgelegt, in dem pflegende Angehörige gemeinsam geschult und in ihrem Alltag unterstützt werden. Die Programmdurchführenden beschreiben, wie diese Termine bei der Bewältigung der oft schwierigen Pflegesituation unterstützen können: „Es kann beobachtet werden, dass wenn pflegende Angehörige mindestens dreimal in einer Gruppe zusammenkommen, der Bedarf entsteht, sich weiter zu treffen. Es braucht dann wiederum Kümmerer, die das ermöglichen. Der Austausch von pflegenden Angehörigen im Rahmen einer Selbsthilfegruppe leistet einen wichtigen Beitrag zur Befähigung. Das Treffen und der Austausch wirken bereits gesundheitsfördernd. Menschen wachsen mit ihren Aufgaben und Erfahrungen.“
(Dr. Katharina Graffmann-Weschke, Pflege in Familien fördern (PfiFf), Berlin)

Im Rahmen des Projektes „Club 2. Frühling“, ein Angebot für ältere Migrantinnen in Berlin, konnte die erfahrung gemacht werden, dass deren Potentiale (z. B. selbstbewusstes auftreten) auch durch gemeinsame Aktivitäten angeregt werden können. „Wir haben gemeinsame Theater- oder Museumsbesuche angeboten. Es war auch ein Ziel, die Stadt wirklich als Lebensraum erfahrbar zu machen. Nicht nur den kleinen Kreis, in dem man sich sowieso bewegt, wo man seinen Arzt, Einkaufsmöglichkeiten sowie seine Nachbarn im Kiez hat. Die älteren Migrantinnen sind zum Teil seit 50 Jahren hier und kennen die Stadt überhaupt nicht. Durch diese gemeinsamen Aktivitäten hat sich vieles entwickelt, beispielsweise das Selbstbewusstsein, sich im eigenen Lebensraum zurecht zu finden.“
(Neriman Kurt, Club 2. Frühling, Berlin)
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Good Practice-Beispiel

Alternsfreundliche Kommune - Stadtteilanalyse Weinheim-West
Im Rahmen von Stadtteilbegehungen konnten ältere Menschen aktiv Mängel in punkto Barrierefreiheit benennen und Handlungsbedarfe aufzeigen. Beispielsweise wurden bei der Beschaffenheit der Bordsteine sowie bei den zugangswegen zu einkaufsmärkten und Wohnanlagen Defizite festgestellt, die für mobilitätseingeschränkte Personen ernstzunehmende Hindernisse darstellen. Darüber hinaus konnten in den Handlungsfeldern „Ruhepunkte“ (unzureichende Sitzmöglichkeiten), „öffentliche Toiletten“ (oftmals nicht senioren- bzw. behindertengerecht) sowie „öffentlicher Nahverkehr“ (fehlende Barrierefreiheit an Haltestellen) entwicklungsbedarfe identifiziert werden.
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Hinweis

Weitere anschauliche Erfahrungen für einen Setting-Ansatz dokumentieren sich in den Projekten, die vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit bereits als Good Practice-Projekte ausgezeichnet wurden. Beispiele können über die Projektdatenbank recherchiert und abgerufen werden.

Weitere Kriterien